Traditionelle, Komplementäre und Integrative Medizin in Deutschland

Inanspruchnahme und Akzeptanz

Auf einen Blick

  • Gemäss einer Umfrage ist die Traditionelle, Komplementäre und Integrative Medizin (TKIM) in Deutschland beliebt und wird häufig genutzt.
  • Die Mehrheit bevorzugt einen integrativen oder komplementären Ansatz. Eine alternative Anwendung von TKIM-Methoden ist weniger beliebt.
  • Die Befragten sprachen sich für mehr Forschung und eine Übernahme der Kosten für TKIM-Leistungen aus.

Hintergrund

In Deutschland ist die Traditionelle, Komplementäre und Integrative Medizin – kurz TKIM – weit verbreitet und hat eine lange Tradition. Frühere Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland bereits einmal TKIM angewendet haben [1, 2]. Zur aktuellen Situation gibt es nur wenige Zahlen. Auch ist offen, wie bekannt die TKIM bei der Bevölkerung ist und wie sie dazu eingestellt ist.

In der Integrativen Medizin werden konventionelle mit komplementärmedizinischen Behandlungen synergistisch kombiniert. Dabei steht der ganze Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Zusätzlich gibt es in Deutschland die sogenannte Naturheilkunde, die ein breiteres Spektrum an Behandlungsformen umfasst, wie z.B. die Kneipp-Therapie [3].

Ziel der Studie

Das Ziel der Studie war es, die aktuelle Nutzung und die Einstellung gegenüber der TKIM in der Bevölkerung in Deutschland zu untersuchen.

Ablauf der Studie

Insgesamt nahmen 4‘065 Personen zwischen 18 und 75 Jahren an der Umfrage teil. Die Teilnehmenden waren im Schnitt 49 Jahre (+/- 16 Jahre) alt, und es waren etwa gleich viele Männer wie Frauen. Die Umfrage wurde 2022 online unter Beteiligung von drei renommierten deutschen Marktforschungsinstituten durchgeführt.

Die Teilnehmenden beantworteten verschiedene Fragen zur Nutzung der TKIM und zur Einstellung gegenüber der TKIM. Die Fragen wurden in einem schrittweisen Prozess zusammen mit TKIM-Experten:innen entwickelt. Darunter waren auch Fachleute von Universitäten aus dem deutschsprachigen Raum.

Ergebnisse

  • Siebzig Prozent der Befragten hatten irgendwann einmal TKIM genutzt und ein Drittel der Befragten hatte sie in den letzten zwölf Monaten verwendet. Aktuell nutzt knapp ein Fünftel die TKIM täglich bis monatlich. Am häufigsten verwendeten die Befragten TKIM wegen muskuloskelettalen Schmerzen (z.B. Rückenschmerzen), gefolgt von Allergien und Kopfschmerzen.
  • Die Befragten halten Anwendung der TKIM für optimal, wenn sie ergänzend (34,7%) oder integrativ (33,4%) eingesetzt wird. Weniger als fünf Prozent betrachten die TKIM als eine sinnvolle Alternative zur konventionellen Medizin.
  • Die Einstellung gegenüber der TKIM war mehrheitlich positiv; 50% der Befragten hatten eine positive Meinung zur Naturheilkunde, 41% zur Integrativen Medizin und 35% zur Komplementärmedizin. Ein Viertel der Befragten hatte eine positive Meinung zur Alternativmedizin, während ein weiteres Viertel sie negativ bis sehr negativ beurteilte. Im Vergleich wurde die Naturheilkunde, die Integrative Medizin und die Komplementärmedizin der TKIM jeweils von fünf bis sieben Prozent der Befragten negativ bewertet.
  • Mehr als 70% der Teilnehmenden sprach sich für mehr Forschung zur TKIM aus und 69% waren der Meinung, dass die Kosten für TKIM-Leistungen von den Krankenkassen übernommen werden sollten.

Kommentar

Die Studie zeigt, dass TKIM in Deutschland weit verbreitet und bei vielen Menschen beliebt ist. Auch in der Schweiz nutzen nahezu ein Drittel der Bevölkerung TKIM [4]. Weltweit wird die TKIM zunehmend anerkannt und von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefördert, insbesondere durch die „Strategie für traditionelle Medizin 2014-2023“ [5]. Diese Strategie hat zum Ziel, die sicheren und wirksamen Methoden der TKIM in das Gesundheitssystem zu integrieren.

Die Umfrage-Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Befragten einen komplementären oder integrativen Ansatz als sinnvoll erachtet, während alternative Anwendungen weniger beliebt sind oder auch negativ wahrgenommen werden. Diese Ansichten stehen im Einklang mit den Zielen der WHO, die darauf abzielt, die Anerkennung und Integration traditioneller Medizin zu fördern. Zudem betonen die Ergebnisse die Notwendigkeit, die TKIM in der deutschen Gesundheitspolitik stärker zu berücksichtigen und ihre Methoden wissenschaftlich zu untersuchen.

Stärken und Schwächen der Studie

Eine Stärke der Studie ist die Durchführung mittels Computer Assisted Web Interviews (CAWI). CAWI ermöglicht es, Teilnehmende anonym zu rekrutieren und Umfragen orts- und zeitunabhängig durchzuführen. Für die Studie spricht auch, dass die Autoren:innen die Umfrage extern in Auftrag gegeben haben. Dadurch konnten mögliche Verzerrungen aufgrund ihrer eigenen Meinung verringert werden.

Ein Kritikpunkt ist die eher niedrige Rücklaufquote von 21,5%. Das bedeutet, dass ungefähr ein Fünftel auf die Einladung reagiert hat. Bei Online-Umfragen gilt eine Rücklaufquote von über 30% als gut. Davon wurden weitere zehn Prozent der Teilnehmenden wegen qualitativer Mängel ausgeschlossen, beispielsweise wegen unvollständige Angaben. Weiter ist es möglich, dass ein grundsätzliches Interesse oder Desinteresse gegenüber der TKIM die Bereitschaft zur Teilnahme beeinflusst und somit zu verzerrten Ergebnissen geführt haben könnte.

Fazit

Die TKIM scheint in der Bevölkerung in Deutschland mehrheitlich positiv wahrgenommen zu werden. Ein wesentlicher Teil nutzt die TKIM für ihre Gesundheit. Aufklärung über den integrativen Ansatz der TKIM sowie weitere Forschung könnten dazu beitragen, die TKIM im deutschen Gesundheitssystem stärker zu berücksichtigen.

Link zur Studie: https://doi.org/10.3389/fmed.2024.137292 
Erstautor & Veröffentlichung: M. Jeitler, 2024

Referenzen

  1. Härtel U, Volger E. Use and acceptance of classical natural and alternative medicine in Germany - findings of a representative population-based survey. Forschende Komplementärmedizin und klassische Naturheilkunde. 2004;11(6):327-34.
  2. Linde K, Alscher A, Friedrichs C, Joos S, Schneider A. The use of complementary and alternative therapies in Germany - a systematic review of Nationwide surveys. Forsch Komplementmed. 2014;21:111–8.
  3. Volger E, Brinkhaus B. Kursbuch Naturheilverfahren. München: Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2017.
  4. Meier-Girard D, Lüthi E, Rodondi PY, Wolf U. Prevalence, specific and non-specific determinants of complementary medicine use in Switzerland: Data from the 2017 Swiss Health Survey. PLoS One. 2022;17(9):e0274334.
  5. World Health Organization (WHO). WHO traditional medicine strategy: 2014-2023. WHO; 2013 (Zugriff: 23. Juli 2024). https://www.who.int/publications/i/item/9789241506096