Sicherheit bestätigt, auch auf lange Sicht

Anthroposophisch erweiterte Medizin während Chemotherapie bei Kindern

Auf einen Blick

  • Die Überlebensrate bei Kindern ist heutzutage für viele Krebsarten hoch.
  • Dennoch sind die Nebenwirkungen einer Krebstherapie schwerwiegend und können lebenslang beeinträchtigend sein.
  • Die Anthroposophisch erweiterte Medizin (AeM) bietet hilfreiche Behandlungen ergänzend zur Chemotherapie.
  • Eine grossangelegte Studie mit Kindern zeigt, dass eine zusätzliche AeM-Behandlung während einer Chemotherapie sicher ist und keinen nachteiligen Einfluss auf das Überleben der Kinder hat.

Hintergrund

Die Krebstherapie hat bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht. Die Überlebensrate liegt für viele Krebsarten bei über 80 % [1,2]. Trotzdem sind die Nebenwirkungen der Krebsbehandlung, insbesondere der Chemotherapie, eine grosse Herausforderung. Typische Nebenwirkungen sind Übelkeit, Haarausfall, Angststörungen und Depressionen.

Zur Behandlung der Nebenwirkungen einer Chemotherapie erhält die Komplementäre und Integrative Medizin (KIM) zunehmend Aufmerksamkeit. Sie wird in der Pädiatrie von vielen Betroffenen und deren Betreuungspersonen nachgefragt [3]. Die Anthroposophisch erweiterte Medizin (AeM) ist ein Bereich der KIM. Sie wird in der pädiatrischen Onkologie ergänzend zur konventionellen Medizin eingesetzt, um die Verträglichkeit der Chemotherapie zu verbessern und die Lebensqualität zu erhöhen.

Bisherige Forschungsarbeiten untersuchten die Wirksamkeit der AeM vor allem bei Erwachsenen. Klinische Studien weisen darauf hin, dass eine ergänzende AeM-Behandlung die Verträglichkeit der Chemotherapie verbessert und die Lebensqualität der Betroffenen erhöht [4, 5]. Für das Kindesalter gibt es kleinere Studien zur Nutzung und Sicherheit der AeM [6, 7]. Laut AutorInnen besteht ein Bedarf an umfangreicheren, gut konzipierten Studien. Damit soll insbesondere die Sicherheit und auch die Wirksamkeit von ergänzenden AeM-Behandlungen bei Kindern während einer Chemotherapie beurteilt werden.

Ziel der Studie

Ziel der Studie war es herauszufinden, ob die AeM als ergänzende Behandlung während einer Chemotherapie bei Kindern und Jugendlichen sicher und wirksam ist.

Ablauf der Studie

An der Studie nahmen 288 Kinder und Jugendliche mit Krebs teil. Sie wurden an einem von zwölf Spitälern in Deutschland behandelt. Im Schnitt waren sie acht Jahre alt, und ein Drittel war weiblich. Die Teilnehmenden wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Beide Gruppen erhielten die üblichen Chemotherapien. Eine Gruppe erhielt zusätzlich AeM, nämlich ein anthroposophisches Mistelpräparat und bei Bedarf weitere Medikamente und Therapien der AeM.

Um die Wirksamkeit der AeM-Behandlung zu beurteilen, wurde die allgemeine und die chemotherapiespezifische Toxizität gemessen. Zur Beurteilung der Sicherheit wurde die Überlebensrate der Teilnehmenden nach fünf Jahren erfasst. Zusätzlich wurden die Nebenwirkungen und schwerwiegende unerwünschte Ereignisse dokumentiert.

Ergebnisse

  • Eine zusätzliche AeM-Behandlung verringerte die allgemeine Toxizität nicht signifikant. PatientInnen mit der AeM-Behandlung berichteten seltener über Durchfälle im Zusammenhang mit der Chemotherapie, ansonsten zeigten sich keine Unterschiede im Vergleich zu den PatientInnen ohne AeM-Behandlung.
  • Die Überlebensrate fünf Jahre nach der Chemotherapie unterschied sich nicht zwischen den PatientInnen mit und ohne AeM-Behandlung.
  • Elf Teilnehmende hatten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, die alle auf die Chemotherapie und nicht auf die ergänzende AeM-Behandlung zurückgeführt werden konnten.
  • Die häufigste Nebenwirkung bei PatientInnen mit ergänzender AeM-Behandlung war eine lokale Entzündung an der Injektionsstelle des anthroposophischen Medikaments. Diese Entzündung wurde durch das Medikament verursacht und ist in geringem Masse, als sogenannte Lokalreaktion, erwünscht.

Kommentar

Das ist die erste Studie, die die Wirksamkeit und Sicherheit der AeM in der pädiatrischen Onkologie systematisch untersuchte. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine ergänzende AeM-Behandlung während einer Chemotherapie bei Kindern sicher ist. Gemäss den AutorInnen scheint eine ergänzende AeM-Behandlung im klinischen Kontext keine zusätzlichen Risiken oder Schäden zu verursachen, sowohl kurzfristig als auch langfristig. Dieses Wissen kann das Vertrauen von PatientInnen und ÄrztInnen in ergänzende AeM-Behandlungen während einer Krebstherapie erhöhen.

Einige PatientInnen entscheiden sich womöglich für eine ergänzende AeM-Behandlung, um die Nebenwirkungen einer Chemotherapie besser zu bewältigen und ihr allgemeines Wohlbefinden zu verbessern. Obwohl sich in der Studie keine zusätzliche Verbesserung der Nebenwirkungen gezeigt hat, sind positive Effekte auf das Wohlbefinden nicht auszuschliessen. Um dies zu klären, sind weitere Untersuchungen, insbesondere bei Kindern, notwendig.

Die AutorInnen betonen in der Studie, wie wichtig eine patientenorientierte Versorgung in der Onkologie ist. Entsprechend dem Krankheitsverständnis der anthroposophischen Medizin werden die ergänzenden AeM-Behandlungen individuell verschrieben und angepasst. Möglicherweise profitieren sowohl ÄrztInnen als auch PatientInnen, wenn die Behandlung den individuellen Bedürfnissen, den Behandlungsanforderungen und der spezifischen Tumorerkrankung entspricht. Die Kosten für eine ergänzende AeM-Behandlung werden von der Krankenkasse übernommen.

Stärken und Schwächen der Studie

Zu den Stärken der Studie zählt, dass PatientInnen aus zwölf verschiedenen pädiatrischen Onkologiekliniken in Deutschland untersucht wurden. Damit wurde eine Vielzahl an PatientInnen und Behandlungssituationen abgedeckt. Auch beobachteten die AutorInnen die PatientInnen über einen langen Zeitraum von fünf Jahren, um auch langfristige Auswirkungen zu erfassen. Weiter verwendeten sie ein randomisiert-kontrolliertes Studiendesign, was die Zuverlässigkeit der Ergebnisse erhöht.

Die Ergebnisse könnten möglicherweise dadurch beeinflusst worden sein, dass sowohl die ÄrztInnen als auch die PatientInnen wussten, welche Behandlung sie erhielten. In der Studie wird nicht näher beschrieben, wie zuverlässig die PatientInnen die ergänzende AeM-Behandlung anwendeten und ob sie andere Behandlungen zur Selbstmedikation verwendeten. Je nachdem könnte die Wirksamkeit der ergänzenden AeM-Behandlung unter- oder überschätzt worden sein.

Fazit

Eine ergänzende AeM-Behandlung während einer Chemotherapie bei Kindern lässt sich gemäss Studie sicher anwenden und hat keinen Nachteil hinsichtlich Toxizität und Überleben der PatientInnen. Weitere Untersuchungen zu den möglichen Vorteilen einer ergänzenden AeM-Behandlung sind notwendig, um deren Anwendung in der pädiatrischen Onkologie zu stärken.

Referenz zur Studie: Seifert G, et al. Integrative medicine during the intensive phase of chemotherapy in pediatric oncology in Germany: a randomized controlled trial with 5-year follow up. BMC Cancer 2022;22(1):652.

Link zur Studie: https://doi.org/10.1186/s12885-022-09703-0 

Referenzen

  1. American Cancer Society (ACS). Cancer Facts & Figures 2020. Special Section: Cancer in Adolescents and Young Adults. Atlanta: ACS, 2020 (Zugriff: 25. Juli 2024). https://www.cancer.org/content/dam/cancer-org/research/cancer-facts-and-statistics/annual-cancer-facts-and-figures/2020/special-section-cancer-in-adolescents-and-young-adults-2020.pdf
  2. Loeffen EA, Knops RR, Boerhof J, et al. Treatment-related mortality in children with cancer: Prevalence and risk factors. European Journal of Cancer. 2019;121:113-22.
  3. Lüthi E, Diezi M, Danon N, et al. Complementary and alternative medicine use by pediatric oncology patients before, during, and after treatment. BMC Complementary Medicine and Therapies. 2021;21:1-11.
  4. Horneber MA, Bueschel G, Huber R, Linde K, Rostock M. Mistletoe therapy in oncology. Cochrane Database Syst Rev. 2008;2008(2):Cd003297.
  5. Steuer-Vogt MK, Bonkowsky V, Ambrosch P, Scholz M, Neiβ A, Strutz J, et al. The effect of an adjuvant mistletoe treatment programme in resected head and neck cancer patients: a randomised controlled clinical trial. European Journal of Cancer. 2001;37(1):23–31.
  6. Längler A, Spix C, Edelhäuser F, Martin DD, Kameda G, Kaatsch P, et al. Anthroposophic medicine in paediatric oncology in Germany: results of a population-based retrospective parental survey. Pediatric Blood & Cancer. 2010;55(6):1111–7.
  7. Zuzak TJ, Wasmuth A, Bernitzki S, Schwermer M, Längler A. Safety of highdose intravenous mistletoe therapy in pediatric cancer patients: a case series. Complementary Therapies in Medicine. 2018;40:198–202.