Auf einen Blick
- Viele Brustkrebs-Patientinnen leiden an chronischer Müdigkeit (Fatigue).
- Momentane Behandlungen helfen meist nicht genügend.
- Eine neuentwickelte multimodale Therapie verbesserte die Schlafqualität und teilweise auch die Müdigkeit stärker als körperliches Training.
- Weitere bestätigende Untersuchungen sind notwendig, um die multimodale Therapie als neuen Standard in der Behandlung krebsbedingter Fatigue zu etablieren.
Hintergrund
Viele Patientinnen mit Brustkrebs fühlen sich durch eine unverhältnismässig starke Müdigkeit beeinträchtigt. Etwa ein Drittel von ihnen leidet noch fünf bis zehn Jahre nach erfolgreicher Krebstherapie an chronischer Müdigkeit, fachsprachlich Fatigue [1]. Chronische Fatigue wird mit standardisierten Fragebögen diagnostiziert. Typische Beschwerden sind fehlende Energie bis hin zu totaler Erschöpfung und Schlafstörungen. Patientinnen fühlen sich dadurch in ihrer Lebensführung stark eingeschränkt. Die Auslöser sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass die Tumorerkrankung selbst, häufiger jedoch die Krebstherapie, eine grosse Rolle spielt [2].
Entgegen dem eigentlichen Bedürfnis nach Ruhe kann Bewegungsmangel eine Fatigue verstärken. Körperliches Training, wie etwa Aerobic, wird derzeit als Standard-Behandlung bei krebsbedingter Fatigue empfohlen [3]. Eine systematische Übersichtsarbeit aus 56 Studien fand, dass körperliche Aktivität die Müdigkeit sowohl während als auch nach einer Krebstherapie reduziert [4].
Auch haben sich edukative Interventionen zum psychologischen Befinden und zur Schlafqualität als hilfreich erwiesen [5, 6]. Die Beschwerden haben sich jedoch in den Studien, die nur eine Therapie eingesetzt haben, mässig bis kaum verbessert. Aufgrund dessen und einer vorausgehenden Studie [7] vermuteten die AutorInnen, dass mehrere Therapiebausteine eine krebsbedingte Fatigue stärker verbessern als einzelne Therapien. Sie entwickelten deshalb ein multimodales Therapiekonzept für Patientinnen mit krebsbedingter Fatigue nach einer Brustkrebserkrankung [8].
Ziel der Studie
Ziel der Studie war es herauszufinden, ob eine neuentwickelte multimodale Therapie oder eine Kombinations-Therapie (multimodale Therapie & Aerobic) die Müdigkeit und die Schlafqualität von Brustkrebs-Patientinnen mit chronischer Fatigue gleich gut oder stärker verbessert als Aerobic.
Vorgehen
An der Studie nahmen 105 Brustkrebs-Patientinnen teil, die seit mindestens sechs Monaten an krebsbedingter Fatigue leiden und vor mindestens drei Jahren ihre letzte Krebstherapie erhielten. Die Teilnehmerinnen waren im Schnitt 58 Jahre alt. Sie wurden zufällig oder aufgrund ihrer Vorliebe zu einer der drei Therapien – Multimodale Therapie, Kombinations-Therapie, Aerobic – zugeteilt. Alle Therapien dauerten zehn Wochen und beinhalteten geleitete Einheiten und Übungen für zu Hause. Teil der multimodalen Therapie waren Psycho- und Schlafedukation sowie Heileurythmie und anthroposophische Kunsttherapie.
Um die Wirksamkeit der drei Therapien zu beurteilen, wurden alle Teilnehmerinnen vor und nach der Therapie, sowie sechs Monate nach Beendigung der Therapie befragt. Dabei füllten sie einen Fragebogen zu chronischer Fatigue und zur Schlafqualität aus.
Ergebnisse
- Insgesamt war die multimodale Therapie genauso wirksam wie Aerobic.
- Betrachtet man den Effekt auf die Müdigkeit und die Schlafqualität separat, besserte sich die Schlafqualität direkt nach der Therapie bei Patientinnen der multimodalen Therapie deutlich stärker als bei Patientinnen mit Aerobic. Sechs Monate nach der Therapie reduzierte sich auch die Müdigkeit im Vergleich zu Aerobic statistisch bedeutsam.
- Die Kombinations-Therapie war insgesamt nicht wirksamer als Aerobic. Jedoch berichteten Patientinnen der Kombinations-Therapie sechs Wochen nach der Therapie über eine bessere Schlafqualität als Patientinnen mit Aerobic.
- In einer weiteren Studie [9] fanden die AutorInnen auch vier Jahre nach Ende der Therapie eine verbesserte Schlafqualität bei Patientinnen der multimodalen Therapie und der Kombinations-Therapie.
Kommentar
Laut AutorInnen können die positiven Effekte der multimodalen Therapie auf das Zusammenwirken verschiedener Therapiebausteine zurückgeführt werden. So soll mit Hilfe der Psychoedukation die Selbstregulationsfähigkeit, und damit der Umgang mit Stress, gestärkt werden. Mit Lerneinheiten zum Thema Schlaf und Schlafrestriktionen wurde an der Schlafqualität gearbeitet. Studien weisen darauf hin, dass sich krebsbedingte Müdigkeit und Schlafqualität gegenseitig beeinflussen [10]. Patientinnen sind während einer Chemotherapie oft müde, da die Schlafqualität meist abnimmt. Bessert sich die Schlafqualität, wirkt das positiv auf die Fatigue. Umgekehrt erhöht eine geringere Müdigkeit, zum Beispiel aufgrund einer besseren Selbstregulationsfähigkeit, die Schlafqualität.
Die Studie unterstreicht auch den Wert von anthroposophischen Therapien bei krebsbedingter Fatigue. Entsprechend der anthroposophischen Medizin sind die positiven Effekte der multimodalen Therapie dadurch erklärbar, dass die anthroposophischen Therapien verschiedene Ebenen miteinbeziehen. So wird nicht nur auf die körperliche Ebene (z.B. Vitalität fördern), sondern auch auf die seelische und geistige Ebene (z.B. Gefühle wahrnehmen, Sinnhaftigkeit erkennen) eingegangen. In der Heileurythmie soll zum Beispiel die Selbstwahrnehmung durch achtsame Bewegungen gestärkt werden. In der Kunsttherapie wird mit bestimmten Übungen auf die seelische und geistige Ebene eingegangen. Zum Beispiel soll das Malen von einem Tag/Nacht-Motiv mit Aquarellfarben Gefühle ausgleichen und die Selbstreflexion anregen.
Im klinischen Kontext werden bei chronischen Erkrankungen oft mehrere Therapien gleichzeitig angewendet, sogenannte Komplextherapien. Umso wichtiger ist es, deren Wirksamkeit zu untersuchen. Obschon damit keine Aussage zur Wirkung einzelner Therapien gemacht werden kann, sind weitere Studien zu multimodalen Therapien notwendig.
Stärken und Schwächen der Studie
Das ist die erste Studie, welche die Wirksamkeit einer neuentwickelten multimodalen Therapie mit konventionellen und komplementärmedizinischen Inhalten untersuchte. Die AutorInnen entwickelten ein umfassendes Therapiekonzept im Sinne einer integrativen Onkologie. Um die chronische Fatigue und die Schlafqualität zu erfassen, wurden standardisierte Fragebogen eingesetzt. Das Vorgehen und der Verlauf der Studie wurde von den AutorInnen detailliert und transparent beschrieben.
Eine Schwäche der Studie ist die eher geringe Teilnehmerzahl sowie die unterschiedliche Anzahl an Teilnehmerinnen pro Therapie. An der Kombinations-Therapie haben fast doppelt so viele Patientinnen teilgenommen wie an der Aerobic-Therapie. Insgesamt haben 20% der Teilnehmerinnen die Therapie abgebrochen, davon überdurchschnittlich viele Patientinnen der Aerobic-Gruppe. Auch hat die Hälfte der Teilnehmerinnen selbst gewählt, an welcher Therapie sie teilnehmen. Individuelle Vorlieben und eine hohe Motivation könnten zu stärkeren Effekten geführt haben.
Fazit
Eine neue multimodale Therapie, bestehend aus Psycho- und Schlafedukation sowie anthroposophischer Bewegungs- und Kunsttherapie, hilft bei chronischer Fatigue nach einer Brustkrebserkrankung. Die Ergebnisse unterstreichen den Wert eines integrativen Ansatzes in der Onkologie.
Link zur Studie: https://doi.org/10.1186/s12885-017-3142-7
Erstautor & Veröffentlichung: M. Kröz, 2017
Referenzen
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