Auf einen Blick
- Chronische Rückenschmerzen betreffen viele Personen.
- Die schmerzreduzierenden Effekte von Physiotherapie sind bereits gut untersucht. Die Wirksamkeit von Yoga oder Heileurythmie ist weniger erforscht.
- In der Studie reduzierten Yoga und Heileurythmie die Schmerzen und die körperliche Beeinträchtigung genauso stark wie Physiotherapie. Zusätzlich verbesserte sich die mentale Gesundheit, was bei Physiotherapie nicht der Fall war.
- Betroffenen stehen damit zwei weitere Bewegungsformen zur Verfügung.
Hintergrund
In der Schweiz leidet eine von sechs Personen an chronischen Schmerzen [1]. Am häufigsten ist der Rücken betroffen. Dauern die Schmerzen länger als zwölf Wochen an, spricht man von chronischen Schmerzen [2]. Die Schmerzen schränken die Lebensqualität der Betroffenen enorm ein und erhöhen das Risiko für mentale Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen oder Angststörungen [3]. Die internationale Schmerzgesellschaft empfiehlt eine multimodale Behandlung [4], das heisst, Medikamente werden mit Bewegungs- und Verhaltenstherapie kombiniert.
Häufig wird bei chronischen Schmerzen Physiotherapie verschrieben. Dabei soll primär mit körperlichen Übungen ein muskuläres Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Bisherige Studien zeigen, dass Physiotherapie, wie körperliche Aktivität insgesamt, chronische Schmerzen reduziert [5, 6]. Was bei rein körperlichen Übungen jedoch fehlt, ist der mentale Aspekt der mentalen und körperlichen Entspannung. Dies wird im Yoga miteingeschlossen. Mit bestimmten Übungen sollen die Schmerzen reduziert werden, zum Beispiel: Vorwärtsbeugen zur Dehnung der hinteren Beinmuskulatur oder eine entspannende Körperreise. Die Wirksamkeit von Yoga bei Personen mit chronischen Rückenschmerzen wurde bereits in mehreren Studien gezeigt [7, 8].
Heileurythmie bietet sich ebenfalls an, um Körper und Geist in ein Gleichgewicht zu bringen. Dabei werden Bewegungen achtsam ausgeführt und mit Gesprochenem kombiniert. Zum Beispiel wird der Buchstabe M körperlich und stimmlich ausgedrückt. Gleichzeitig soll ein inneres Bild erzeugt werden, das mit Gefühlen und Erinnerungen verknüpft ist. Diese Übung soll beruhigend wirken - ein Effekt, der bei Schmerzen hilfreich sein könnte, wie erste Untersuchungen zeigen [9, 10]. Jedoch wurde die Wirksamkeit noch nicht separat für Heileurythmie untersucht, sondern immer im Rahmen einer multimodalen Behandlung.
Ziel der Studie
Die Studie untersuchte, wie sich Yoga und Heileurythmie im Vergleich zu Physiotherapie-Übungen auf die Schmerzen, die körperliche Beeinträchtigung und die mentale Gesundheit bei Personen mit chronischen Rückenschmerzen auswirken.
Aufbau der Studie
An der Studie nahmen 274 Personen mit chronischen Rückenschmerzen teil. Sie waren im Schnitt 55 Jahre alt und litten durchschnittlich seit vierzehn Jahren an Rückenschmerzen. Die Teilnehmenden wurden zufällig einer von drei Therapien – Physiotherapie, Yoga oder Heileurythmie – zugeteilt. Die Behandlungen dauerten jeweils acht Wochen und waren gleich strukturiert. Das bedeutete: Die Teilnehmenden nahmen einmal pro Woche an einem Training in der Gruppe teil und sollten dann einmal pro Tag zu Hause üben.
Um die Wirksamkeit der Therapien zu beurteilen, sollten die Teilnehmenden zu Beginn der Studie, am Ende der achtwöchigen Behandlung und noch einmal acht Wochen danach einen Fragebogen ausfüllen. Dabei mussten sie unter anderem die Intensität ihrer Schmerzen auf einer Skala von null bis 100 Millimeter angeben. In weiteren standardisierten Fragebögen mussten sie angeben, wie sehr sie sich durch die Schmerzen körperlich beeinträchtigt fühlen und wie sie ihre mentale Gesundheit einschätzen.
Ergebnisse
- In allen drei Therapien reduzierten sich die Schmerzen und die körperliche Beeinträchtigung nach der Therapie, sowie acht Wochen nach Ende der Therapie. Diese Verbesserungen waren statistisch bedeutsam. Im Schnitt reduzierten sich die Schmerzen zwischen acht und 14 Punkten auf einer Skala von 0 bis 100.
- Die Schmerzen und die körperliche Beeinträchtigung verbesserten sich in der Yoga- und Heileurythmie-Gruppe gleich stark wie in der Physiotherapie-Gruppe.
- Im Schnitt schätzten die Teilnehmenden der Heileurythmie- und der Yoga-Gruppe ihre mentale Gesundheit nach der Therapie besser ein als vor der Therapie. Dies war für die Physiotherapie-Gruppe nicht der Fall.
- Die mentale Gesundheit erhöhte sich in der Heileurythmie-Gruppe stärker als in der Physiotherapie-Gruppe. Diese statistisch bedeutsamen Unterschiede wurden zwischen der Yoga- und der Physiotherapie-Gruppe nicht gefunden.
- Die Nebenwirkungen waren insgesamt gering. In der Physiotherapie-Gruppe berichteten die Teilnehmenden über mehr Nebenwirkungen als in den anderen beiden Gruppen. Zum Beispiel gaben 25 von 82 Teilnehmenden der Physiotherapie-Gruppe an, zunehmende Rückenschmerzen zu spüren. Im Vergleich berichteten sieben von 100 Teilnehmenden der Yoga-Gruppe und drei von 92 Teilnehmenden der Heileurythmie-Gruppe von zunehmenden Rückenschmerzen.
Kommentar
Das ist die erste randomisierte kontrollierte Studie, welche den Effekt von Heileurythmie bei Personen mit chronischen Rückenschmerzen untersuchte. Eine frühere Studie zeigte bereits eine positive Wirkung einer multimodalen anthroposophischen Behandlung, jedoch wurde keine Vergleichsgruppe miteingeschlossen und Heileurythmie wurde nicht separat untersucht [9].
In der vorliegenden Studie reduzierte Heileurythmie die Schmerzen gleich gut wie Physiotherapie. Zusätzlich wurde ein positiver Effekt auf die mentale Gesundheit gefunden. Letzteres kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass Heileurythmie das mentale Befinden (d.h. Gefühle, Emotionen) mit körperlichen Empfindungen verbindet. Bei Personen mit chronischen Schmerzen könnten so negative Gefühle im Zusammenhang mit den Schmerzen, wie z.B. Wut oder Angst, bearbeitet werden. Zudem ermöglichen die achtsam ausgeführten Bewegungen den eigenen Körper zu entdecken und das Vertrauen in den Körper wiederzuerlangen.
Auch im Yoga werden mit körperlichen und mentalen Übungen die Gedanken und Gefühle miteinbezogen. Diese sind bei chronischen Schmerzen sehr zentral. Oft kommt es neben der körperlichen Beeinträchtigung auch zu mentalen Beschwerden, wie z.B. Niedergeschlagenheit, Angstattacken oder Schlafstörungen. Im Yoga kann durch Übungen zur Entspannung oder Achtsamkeit ein Umgang mit schwierigen Gedanken und Gefühlen gefunden werden. Die Studienergebnisse unterstützen die bisherige Evidenz zur Wirksamkeit von Yoga bei chronischen Rückenschmerzen [7, 8].
Lassen sich die Ergebnisse in weiteren Studien wiederholen, so könnten neben den schon standardmässig eingesetzten und erwiesenermassen wirksamen nichtmedikamentösen Behandlungen (z.B. Physiotherapie) auch Yoga und Heileurythmie bei chronischen Rückenschmerzen eingesetzt werden. Die Palette an Therapiemöglichkeiten erweitert sich damit, was eine individualisierte Therapie ermöglicht. Die Kosten für Yoga und Heileurythmie werden zum Teil von der Zusatzversicherung der Krankenkasse übernommen.
Stärken und Schwächen der Studie
Eine Stärke der vorliegenden Studien ist das gewählte Studiendesign. Mit einer randomisiert kontrollierten Studie können die Effekte einer Therapie mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die Behandlung zurückgeführt werden. Zudem waren in jeder Gruppe ähnlich viele Personen. Diese unterschieden sich vor der Therapie nicht bezüglich wichtiger Merkmale, wie beispielsweise Geschlecht, Alter oder Schmerzstärke. Auch wurden in der Studie standardisierte Fragebögen verwendet. Dies sind alles Kriterien, die das Vertrauen in die gefundenen Resultate erhöhen.
Die Interpretation der Ergebnisse ist eingeschränkt, weil zum Teil mögliche Störfaktoren nicht untersucht worden sind. Beispielsweise wurde nicht untersucht, ob Medikamente während der Therapie die Ergebnisse beeinflusst haben. Die AutorInnen begründen das damit, dass mehr als 80% der Teilnehmenden die Fragen zu den Medikamenten nicht durchgehend ausgefüllt haben. Offen bleibt auch, ob es sich bei den Ergebnissen um klinisch relevante Verbesserungen handelt (d.h. von den PatientInnen spürbar). Dies müsste in weiteren Studien geklärt werden.
Fazit
Die Studie zeigt, dass Yoga und Heileurythmie vergleichbar gut wirken wie Physiotherapie. Personen mit chronischen Rückenschmerzen stehen damit zwei weitere Bewegungstherapien zur Verfügung. Abhängig von den Vorlieben und Interessen der PatientInnen kann so die optimale Therapie gefunden werden.
Link zur Studie: https://doi.org/10.1016/j.jpain.2021.03.154
Erstautor & Veröffentlichung: A. Michalsen, 2021
Referenzen
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