ADHS bei Kindern besser mit Homöopathie

Individuelle homöopathische Behandlung versus Placebo

Auf einen Blick

  • ADHS kann sowohl für die Kinder mit Diagnose als auch für ihr Umfeld eine Belastung sein.
  • Zur Behandlung werden neben Medikamenten auch Homöopathika eingesetzt.
  • Eine Studie mit einem innovativen Studiendesign zeigt, dass Homöopathika typische ADHS-Beschwerden reduzieren können – und das über den Placeboeffekt hinaus.
  • Weitere Untersuchungen mit noch mehr Teilnehmenden könnten die Ergebnisse bestätigen.

Hintergrund

Eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – kurz ADHS – kommt bei Kindern häufig vor. Etwa eines von 20 Kindern hat ADHS [1]. Typischerweise können sich Kinder mit ADHS nicht lange konzentrieren und/oder sind hyperaktiv und handeln impulsiv. Eine Diagnose wird gestellt, wenn die Auffälligkeiten über sechs Monate bestehen und zu Beeinträchtigungen in der Schule sowie im sozialen Bereich führen. Wegen ihrer unaufmerksamen und teils impulsiven Art werden Kinder mit ADHS häufig kritisiert und abgewertet, was langfristig zu einem geringeren Selbstwertgefühl führen kann und ihre Lernleistung in der Schule beeinträchtigt [2].

Bei gesicherter Diagnose wird eine mittelschwere bis schwere ADHS ab dem sechsten Lebensjahr mit Psychoedukation und Medikamenten behandelt [3]. Obwohl Medikamente die ADHS-Beschwerden meist verbessern [4], können sie auch zu Nebenwirkungen führen. Dazu gehören beispielsweise ein verminderter Appetit, Schlafstörungen oder Kopfschmerzen. Dies führt unter anderem dazu, dass die Eltern nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten suchen.

Eine Möglichkeit zur Behandlung von ADHS sind Homöopathika. In der klassischen Homöopathie werden diese individuell verordnet. Das heisst, jede Person erhält ein für sie bestimmtes Mittel. Bei ein und derselben Erkrankung wird also nicht notwendigerweise dasselbe Mittel verschrieben.

Um die Wirksamkeit einer Behandlung zu untersuchen, gilt ein randomisiertes, placebo-kontrolliertes Studiendesign als Goldstandard. Die Teilnehmenden wissen dabei nicht, welche Behandlung sie erhalten. Bei individualisierten Behandlungen wird das Studiendesign entsprechend angepasst, sodass zuerst das individuell passende Mittel bestimmt wird, bevor es mit einem Placebo verglichen werden kann. Genau diesen Ansatz verfolgten die AutorInnen der Studie und entwickelten ein zweistufiges Studiendesign.

Ziel der Studie

Die Studie untersuchte, ob bei Kindern mit ADHS eine individualisierte homöopathische Behandlung wirksamer ist als ein Placebo.

Ablauf der Studie

An der Studie nahmen 83 Kinder mit ADHS im Alter von sechs bis 16 Jahren teil. Die Studie bestand aus zwei Teilen. Zunächst erhielten alle Kinder eine individualisierte homöopathische Behandlung. Die Behandlung dauerte so lange, bis das individuell passende Mittel gefunden wurde (Screening). Das heisst, die ADHS-Beschwerden mussten sich nach vier Wochen um mindestens 50 % verbessert haben

Im zweiten Teil der Studie wurde den Kindern das individuell passende homöopathische Mittel oder ein Placebo verabreicht. Alle Kinder wurden zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt und durchliefen drei Behandlungen von jeweils sechs Wochen. Gruppe 1 bekam zuerst das Mittel, dann das Placebo und dann wieder das Mittel. Gruppe 2 erhielt zuerst Placebo, dann zweimal das Mittel.

Um die Wirksamkeit der Homöopathika zu beurteilen, füllten die Eltern der Kinder vor und nach jeder Behandlung einen Fragebogen aus. Darin gaben sie an, wie häufig bestimmte ADHS-Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Zappeln oder leicht frustriert sein, in der vergangenen Woche aufgetreten waren.

Ergebnisse

  • Das Studiendesign ermöglicht es, individuell verschriebene Medikamente in einer Doppelblindstudie zu untersuchen. Hierfür wurde vor der Interventionsstudie ein Screening durchgeführt.
  • Mit dem individuell passenden Homöopathikum zeigten die Kinder im Schnitt signifikant weniger ADHS-Verhaltensweisen im Vergleich zum Placebo. Auf einer Skala von null bis 30 betrug der Unterschied 1,7 Punkte. Auch die verbale Merkfähigkeit verbesserte sich im Vergleich zum Placebo statistisch bedeutsam.
  • Am häufigsten wurden folgende Homöopathika verordnet: Calcium carbonicum (15-mal), Sulfur (achtmal), Kamille, Lycopodium und Silicium (je fünfmal).
  • Im ersten Teil der Studie (Screening) verbesserten sich die Aufmerksamkeit und die Impulsivität der Kinder nach der individuellen homöopathischen Behandlung im Schnitt signifikant.

Kommentar

Die Studie zeigt erste Hinweise, dass individuell verschriebene Homöopathika ADHS-Beschwerden bei Kindern reduzieren können – und das über den Placeboeffekt hinaus. Im ersten Teil der Studie verbesserten sich die Aufmerksamkeit und die Impulsivität der Kinder deutlich. Die individualisierte Behandlung mit Homöopathika hat also Wirkung gezeigt. Um einen Placeboeffekt ausschliessen zu können, haben die AutorInnen daraufhin den zweiten Teil der Studie durchgeführt. Und zwar haben sie den Kindern entweder das individuell passende Homöopathikum oder ein Placebo gegeben.

Im zweiten Teil der Studie verbesserten sich die ADHS-Verhaltensweisen mit Homöopathika signifikant stärker als mit Placebo. Die Verbesserungen waren im Schnitt weniger deutlich als von den AutorInnen erwartet. So bestimmten die AutorInnen vor der Studie, dass eine Verbesserung von fünf Punkten (auf einer Skala von null bis 30) klinisch bedeutsam ist. Die Kinder verbesserten sich jedoch im Schnitt um lediglich 1,7 Punkte. Eine mögliche Erklärung ist, dass sich die Beschwerden besonders im ersten Teil der Studie stark reduzierten. Die grösste Wirkung der Homöopathika könnte womöglich bereits im ersten Teil der Studie stattgefunden haben.

Im Sinne der klassischen Homöopathie zeigt die Studie auch, dass eine Erkrankung nicht bei allen Personen mit dem gleichen Mittel behandelt werden muss. Je nach individuellem Beschwerdebild waren unterschiedliche Mittel wirksam. Möchten Eltern ihren Kindern Homöopathika geben, sollten sie sich deshalb individuell ärztlich beraten lassen.

Stärken und Schwächen der Studie

Eine Stärke der Studie ist, dass die Wirksamkeit einer individuellen Behandlung mit einer randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudie untersucht wurde, dem Goldstandard zur Bestimmung der Wirksamkeit einer Behandlung. Da weder die Teilnehmenden noch das Studienteam wussten, wer welche Behandlung erhält, konnte die Wirkung der Behandlung nicht beeinflusst werden. Positiv ist auch, dass die Behandlungen jeweils sechs Wochen dauerten, was laut den AutorInnen einen möglichen Übertragungseffekt ausschliessen lässt.

Eine Schwäche der Studie ist, dass ungefähr zehn Prozent der Kinder für den zweiten Teil der Studie ausgeschlossen wurden, weil sie nicht wie erwartet auf ein Homöopathikum angesprochen haben. Auch wenn es sich dabei um eine kleine Anzahl handelt, könnten die Ergebnisse dadurch verzerrt worden sein. Die Ergebnisse gelten damit nur für Kinder, bei welchen ein wirksames Homöopathikum gefunden wurde. In weiteren Studien wäre es wünschenswert, dass alle Teilnehmenden in die finale statistische Auswertung einbezogen werden.

Fazit

Die Studie zeigt erste Hinweise, dass Homöopathika typische ADHS-Beschwerden bei Kindern reduzieren können, und das über den Placeboeffekt hinaus. Das gewählte Studiendesign ermöglichte es, eine individualisierte homöopathische Behandlung mit einem Placebo zu vergleichen. Für eine verlässliche Empfehlung zu Homöopathika bei ADHS sind weitere hochwertige Studien erforderlich.

Referenz zur Studie: Frei H, et al. Homeopathic treatment of children with attention deficit hyperactivity disorder: a randomised, double blind, placebo controlled crossover trial. European journal of pediatrics. 2005;164(12):758-767.

Link zur Studie: https://doi.org/10.1007/s00431-005-1735-7

Referenzen

  1. Polanczyk GV, Willcutt EG, Salum GA, Kieling C, Rohde LA. ADHD prevalence estimates across three decades: an updated systematic review and meta-regression analysis. Int J Epidemiol. 2014;43(2):434–42.
  2. Cook J, Knight E, Hume I, Qureshi A. The self-esteem of adults diagnosed with attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD): a systematic review of the literature. ADHD Attention Deficit and Hyperactivity Disorders. 2014;6:249-68.
  3. Mechler K, Banaschewski T, Hohmann S, Häge A. Evidence-based pharmacological treatment options for ADHD in children and adolescents. Pharmacology & Therapeutics. 2022;230:107940.
  4. Boland, H., DiSalvo, M., Fried, R., Woodworth, K. Y., Wilens, T., Faraone, S. V., & Biederman, J. A literature review and meta-analysis on the effects of ADHD medications on functional outcomes. Journal of psychiatric research 2020;123:21-30.